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Effiziente Gebäude 2019: Drei Fragen an…

…Jeroen Meissner vom Berliner Architekturbüro Partner und Partner, der auf der diesjährigen Fachkonferenz Effiziente Gebäude das Projekt «WOODSCRAPER» vorstellt.

«Holz neu denken!» ist der Schwerpunkt bei der Entwicklung der WOODSCRAPER: zwei innovative Hochhäuser in Holzbauweise, die auf dem Gelände einer ehemaligen Kleingartensiedlung zentrumsnah in Wolfsburg entstehen sollen. Basierend auf den Prinzipien von Cradle to Cradle, Circular Economy und AktivPlus, wird das Projekt von einem durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Forschungsprojekt begleitet. Mit Ihrem ganzheitlichen Ansatz leisten die WOODSCRAPER einen Beitrag zur Transformation des energie- und ressourcenintensiven Bausektors.

Wir haben Jeroen Meissner drei Fragen zum Projekt gestellt.

Wofür stehen die drei Prinzipien Cradle to Cradle, Circular Economy und AktivPlus und auf welche Art und Weise wurden diese in das Entwurfskonzept der WOODSCRAPER integriert?

Das Prinzip Cradle to Cradle bedeutet für uns, dass Design und unser menschliches Handeln, über das Konzept von geschlossenen Stoffkreisläufen der Circular Economy hinaus, einen positiven Effekt auf Mensch und Umwelt ausübt. Cradle to Cradle steht für eine Denkschule, die davon ausgeht, dass wir Menschen unser Handeln und Gestalten nach dem Vorbild der Natur so ausrichten können, dass eine gesunde, vielfältige und lebendige Umgebung geschaffen und nachfolgenden Generationen hinterlassen wird. Konkret auf das Gebäude bezogen, bedeutet dies unter anderem: der Einsatz von reinen, gesundheitsfördernden und schadstofffreien Rohstoffen, die Schaffung einer hohen Lebensqualität bei gleichzeitiger Erzeugung größtmöglicher positiver Synergieeffekte an dem jeweiligen Standort, eine unkomplizierte Umnutzbarkeit sowie eine einfache Demontage der eingesetzten Baustoffe zur Weiterverwendung oder Rückführung der wertvollen Ressourcen in einen technischen oder biologischen Kreislauf.
AktivPlus bezieht sich auf die energetische Performance, den Eigenversorgungsgrad, den gesamten Lebenszyklus, die CO2-Emissionen und die Kosten. Hier werden Faktoren berücksichtigt, die weit über Mindeststandards hinausgehen und die Zufriedenheit der Bewohner in der Bewertung miteinbeziehen. Die vergleichende Ökobilanzierung des begleitenden Forschungsprojektes der WOODSCRAPER belegt, dass wir schon heute technisch dazu in der Lage sind, diese komplexen Anforderungen mit einfachen Mitteln zu beantworten.
Durch vorschriftenkonformen, größtmöglichen Einsatz von reinen, nachwachsenden Rohstoffen (Holz und Stroh) in einem Hochhaus und ein Beschränken der Haustechnik auf ein sinnvolles Mindestmaß, ist es möglich, schon während der Errichtungsphase, mehr CO2 im Gebäude einzuspeichern als für die Errichtung, trotz energieintensiver Bauteile, ausgestoßen wird. Bereits in der Entwicklungsphase der WOODSCRAPER wurde bei jeder Designentscheidung die Demontierbarkeit und Nachnutzung von reinen Baustoffen mitgedacht. Das Ergebnis ist ein vorlementiertes, modulares Prinzip aus wertvollen Rohstoffen, das umgenutzt werden kann und am Ende des Lebenszyklus als wertvolles Ressourcenlager dient. 

«Holz neu denken!» Wie(so) funktioniert das beim Hochhausbau?

Kaum ein anderer Baustoff hat in den letzten Jahrzehnten so viel Innovation erfahren wie Holz. Selbst der großmaßstäbliche Einsatz leimfreier Holzbauweisen in einem Hochhaus lässt sich heutzutage technisch realisieren. Die statischen Eigenschaften von Holz sind, in Faserrichtung des Holzes, mindestens vergleichbar mit den Eigenschaften von Stahl und Beton und einem Großteil von Mauerwerksbauweisen sogar überlegen.
Bei einer sorgfältigen Planung punktet Holz in vielen Fällen, im Vergleich zu konventionellen Bauweisen, auch beim Brandschutz mit Vorteilen. Massives Holz braucht lange bis es sich entflammt. Wenn es erstmal anfängt zu brennen, dann ist die Standfestigkeit des Bauwerks so sicher und kontrollierbar vorherzusehen, wie bei keinem anderen Baustoff. Während eines Brandes ist bei einer ausreichenden Dimensionierung kein unkontrolliertes Abplatzen von Beton oder Nachgeben von Stahl zu erwarten. Ein unkontrolliertes Entflammen von Brandlasten in angrenzenden Räumen wird durch die guten Dämmeigenschaften von Holz zudem minimiert. Bei einer 20 cm Brettsperrholzwand zum Beispiel, erhöht sich die Temperatur nach 90 Minuten auf der Rückseite des Brandherdes um lediglich 3° Celsius.
Vorelementierung beschleunigt die Bauzeit und senkt die Baukosten. Ein Holzhaus, und insbesondere ein Holzhochhaus, ist bei einer demontierbaren Bauweise ein Ressourcenlager der Zukunft und CO2-Speicher zugleich. In waldreichen Regionen ist Holz damit der Baustoff des 21.Jahrhunderts.

Stichwort «kreislaufgerechtes Bauen» – mit welchen Herausforderungen sehen sich Planerinnen und Planer im Arbeitsalltag konfrontiert?

In Deutschland ist dieser notwendige Ansatz, kreislaufgerecht zu bauen, noch relativ neu und auch noch nicht besonders weit verbreitet, wenngleich sich die Sensibilität für dieses Thema in den letzten Jahren erheblich gesteigert hat. Wir brauchen dringend einfachere Bauweisen und schadstofffreie Baustoffe, einen kompletten Verzicht auf Material- und Ressourcenverbund technischer Rohstoffe sowie eine stringente Trennung von biologischen und technischen Kreisläufen. Wir benötigen Baustoffhersteller, die ihre Produkte kreislaufgerecht umstellen und neue, kreislauffähige Produkte entwickeln. Mittel- und langfristig gesehen, braucht es transparente Rücknahmesysteme, um die eingesetzten Materialien am Ende ihres Lebenszyklus wieder in die Herstellung neuer Materialien und Produkte, angetrieben von 100% erneuerbarer Energie, zurückführen zu können.
Es erfordert ein grundsätzliches Umdenken aller am Projekt beteiligten Akteure. Produkte und Gebäude müssen dabei vom Ende her gedacht und entwickelt werden. Neben der Problemlösung üblicher Aufgaben müssen sich Gestalter und Ingenieure vor allem die Frage stellen, wie sich der anvisierte Lösungsansatz auf Mensch und Umwelt während des Lebenszyklus auswirkt und was im Anschluss mit den immer knapper werdenden eingesetzten Ressourcen geschieht. Noch kostetet es sehr viel Mühe, die vielen Projektbeteiligten in den komplexen Bauprozessen bei dieser notwendigen Transformation mitzunehmen.
Wir stehen am Anfang einer überlebensnotwendigen Transformation unserer Gesellschaft, zu der auch der energie- und ressourcenintensive Bausektor seinen Beitrag leisten muss, um das zu viel freigesetzte CO2 wieder zu binden, Biodiversität und vitale Lebensräume zu schaffen, sowie den Erhalt und Zuwachs unserer Ressourcen sicher zu stellen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Meissner!

Weitere Informationen zum Projekt erhalten Sie auf: www.woodscraper.de

Die Fachkonferenz Effiziente Gebäude 2019 findet am 05. September 2019 in der HafenCity Universität statt. Weitere Informationen zum Programm finden Sie auf: www.zebau.de/fortbildung/effiziente-gebaeude-2019/